Eine antike Rechenmaschine
Der Mechanismus von Antikythera
Anjuschka Prenzel*
1 Einleitung
Bild 1. Schwammtaucher am Ort des Wracks [1]
Um 1900 wurde durch Schwammtaucher ein Schiffswrack
entdeckt. In diesem Wrack verbarg sich zwei Jahrtausende lang ein einzigartiges
Instrument aus hochpräzisen Zahnrädern. Die genauen Untersuchungen dieses
Zahnradgetriebes brachten verblüffende Entdeckungen zu Tage. Haben wir ein
völlig falsches Bild von der Antike? Wie konnte es zum Ptolemäischen Weltbild
kommen, wo es doch altes Wissen über das heliozentrische Weltbild gab? Wie war
es möglich, dass das ganze Wissen aus den vorangegangenen Jahrtausenden einfach
unter den Teppich gekehrt wurde und die Erde so verherrlicht werden konnte? Bei
Todesstrafe durfte niemand etwas anderes behaupten! Es stehen also viele Fragen
offen, wie es dazu kam, dass echtes Wissen den Menschen tausende Jahre
vorenthalten wurde. Dieses gefundene Zahnradgetriebe, es wird Antikythera-Mechanismus
genannt, steht dieser ganzen üblichen Lehrmeinung nun völlig entgegen. Wollen
wir uns diesen Mechanismus einmal anschauen.
2 Der Fund vor der griechischen Insel
Die griechischen Taucher waren mit ihrem voll beladenen
Holzboot auf der Heimreise nach ihrer Insel Syme vor der türkischen Grenze. Sie
suchten die Mittelmeerküste nach Schwämmen ab und konnten erfolgreich
heimkehren. Wegen eines Sturmes mussten sie jedoch vor einer unwirtlichen Insel zwischen
Peleponnesos und Kreta vor Anker gehen. Diese kleine Insel wird Antikythera
genannt.
Bild 2.
Der Heimweg der Schwammtaucher von Antikythera nach Syme [2]
Bild 3. Das
größte Fragment des Antikythera-Mechanismus, [3]
Die Erforschung dieses Mechanismus im Taschenformat wurde
zum Dreh- und Angelpunkt im Leben von renommierten Wissenschaftlern, doch
darauf kann hier verständlicherweise
nicht eingegangen werden. Im Archäologischen Nationalmuseum in Athen,
Griechenland, können die Artefakte besichtigt
und untersucht werden.
3 Die Erforschung des Zwecks des mechanischen
Getriebes
Obwohl wir uns nicht mit allen Forschern des
Antikythera-Mechanismus auseinandersetzen können, ist es doch angebracht, den
Namen Derek de Solla Price und sein Werk „Gears from the Greeks“ zu erwähnen.
Er untersuchte als einer der Ersten mit Akribie und Technologie diesen
erodierten Mechanismus. Sicherlich sind die korrodierten Fragmente aus Bronze,
die im Archäologischen Nationalmuseum in Athen ausgestellt wurden, kein
Anziehungspunkt für Liebhaber der griechischen Kunst. Sie bergen aber ein
ungelöstes Rätsel über den mathematischen und technischen Wissensstand vor ca.
2000 Jahren in sich.
Bild 4.
Derek de Solla Price mit einem Modell des Mechanismus, [3]
Nach genauerer Untersuchung des kleinen Mechanismus wurden
konzentrische Teile mit winzigen Zähnen entdeckt. Es vergingen aber noch Jahrzehnte,
bevor dieses „Uhrwerk“, wie vermutet wurde, genauer untersucht werden konnte.
Alte griechische Buchstaben, die auf den Überresten gefunden wurden, waren das
erste Indiz für dieses Fundstück, es könnte als Astrolabium gedient haben. Bei
den fast unleserlichen Aufschriften handelt es
sich um den Hinweis auf die Tierkreisskala. Der Durchbruch der
Radiologischen Technologien verhalf der Erforschung des Antikythera-Mechanismus zu neuen
Erkenntnissen. Doch was hat dies alles nun mit dem „Jahrbuch für Optik und
Feinmechanik“ zu tun? Die Erforschung dieses Instruments kann uns zeigen, dass
es die Voraussetzung des heutigen Entwicklungsstandes bezüglich dieser Themen
darstellt. Wir haben einen „Grundbaustein“ der modernen Technologien gefunden!
Schauen wir uns doch einmal die Ergebnisse der jahrzehntelangen Untersuchungen
an.
Bild 5.
Schematische Darstellung der Fragmente [1]
Mit Hilfe von Radiographischen Techniken war es erstmals
möglich in das Innere des vom Zerfall geprägten Räderwerks zu blicken. In einem
Holzkasten verstaut, konnten seine Abmessungen auf 30 cm mal 20 cm geschätzt
werden. Doch die neuen Technologien erlaubten eine millimetergenaue
Untersuchung.
Bild 6. Zusammenfassende
Übersicht der Zahnräder [1]
Die
Zifferblätter vorn und hinten sind mit eingravierten griechischen Buchstaben und Worten versehen, die als Erstes den Schluss
zugelassen hatten, dass der gefundene Zahnradmechanismus zu Ermittlung von
Kalenderdaten verwendet wurde. Eine in zwölf Abschnitte unterteilte Skala
verweist auf die Verwendung des Tierkreises im Zusammenhang mit einer zweiten,
die das Datum berücksichtigt. Nun, das ist ja noch nichts Außergewöhnliches.
Kalenderuhren waren in der Antike bekannt, besonders die Steckkalender,
Parapegma genannt. Untersuchungsmethoden mit Hilfe von Radioisotopen erlaubten
erstmalig einen Einblick ins Innere der korrodierten Fragmente. Es kamen
verblüffende Einzelheiten der Zahnräder ans Licht. Also ein Kalender mit Hilfe
von Zahnradgetrieben? Was sollten diese Getriebe anzeigen? Wozu so eine
komplizierte Konstruktion?
Um genaue Rückschlüsse darüber zu erhalten, war es
zunächst einmal nötig, Übersetzungsverhältnisse der Zahnräder zu bestimmen. Das
bedeutete aber, die Indizien für eine Verwendung des Mechanismus zur Bestimmung
der scheinbaren Sonnenbahn und der Mondumläufe zusammenzufassen. Die Bilder der
Zahnradgruppierungen erlaubten die Annahme einer komplexen Verbindung der
simulierten Bewegungen von Sonne und Mond, woraus die Schlussfolgerung auf ein
Differentialgetriebe gezogen werden konnte.
Bild 7. Radiographische
Aufnahme des Antikythera-Mechanismus, Kreise, Zähne und Achsen wurden mit Tinte
markiert [1]
Die bruchstückhaften Inschriften auf dem
Antikythera-Mechanismus ließen aber noch auf raffiniertere Anwendungen dieses
Gerätes zur Bestimmung von astronomischen Daten schließen. Es wurde die
Vermutung untersucht, dass dieser Mechanismus die erratische Bewegung der Planeten simulieren konnte, da
eine winklig zueinanderstehende Konstruktion von Zahnradachsen gefunden wurde.
Dies war durch eine technisch versierte Übertragung
der beobachteten Bewegungen der Planeten mittels eines komplexen Getriebes
möglich. Weiterhin wurde ein ausgeklügeltes epizyklisches Getriebe zur
Darstellung der Planetenverläufe angenommen. Hierbei muss erwähnt werden, dass
Planetenbewegungen nicht konstant sind, sondern in ihrem Bewegungsablauf recht
variabel sind. Durch weitere Untersuchungen kam sogar die Darstellung des
Meton-Zyklus ans Licht. Bei diesem Zyklus von neunzehn Jahren, welcher dem
Ablauf von 235 synodischen Mond-Monaten entspricht, kommt es an derselben Stelle der Himmelskonstellation
zur gleichen Mondphase wie vor 19 Jahren.
Bild 8. Grafische
Darstellung des siderischen (27,3 Tage gegenüber Fixsternhimmel) und des
synodischen (29,5 Tage durch Erdumlauf um die Sonne) Mondumlaufes [4]
Dieser Ablauf wurde durch das spiralförmige Zifferblatt
mit fünf Windungen demonstriert. Nun, das können wir heute locker lesen. Doch solche
Konstruktionen setzten ein enormes komplexes Wissen voraus, welches auch noch
analog in einem Zahnradmechanismus umgesetzt wurde. Die Konstruktion lässt
darauf schließen, dass dieses astronomische Gerät für Verläufe hergestellt wurde,
die tausende Jahre zurückgelegen haben und mit deren Hilfe Konstellationen
tausende Jahre vorausberechnet werden konnten.
Was konnte aber mit Hilfe der über 30 vorhandenen
Zahnräder und der verschiedenen Zifferblätter noch ermittelt werden? Nicht
genug, dass die Mondphasen mittels einer kleinen Kugel demonstriert wurden,
sondern es wurde die Mechanik zur Ermittlung von Eklipsen entdeckt. Der
Mechanismus beinhaltet einen Stift-Schlitz-Mechanismus. Vermutlich diente er
dazu, die unregelmäßigen Bewegungen der Planeten nachzuahmen, die ja nicht auf
perfekten Kreisbahnen laufen, sondern auf Ellipsen. Dank neuer Röntgentechnik
gelang es, schichtweise Bilder von den korrodierten Fragmenten zu erhalten.
Bild 9. Computer-Radiographie des größten Fragments [5]
Auf den Türen der Zifferblätter konnten neue Inschriften
entdeckt werden. Auf der Rückseite wurde ein Zahnrad gefunden, welches auf den
Saroszyklus, ein Finsterniszyklus, welcher 223 synodische Monate beinhaltete,
schließen ließ. Die Ermittlung von Eklipsen in Vergangenheit und Zukunft mit
Hilfe dieses Mechanismus ist eine enorme Leistung. Dieser Computer machte es
nicht nur möglich den genauen Mondumlauf darstellen, sondern Sonnenfinsternisse
vorauszusagen.
Bild 10.
Rekonstruktion der Vorderseite mit Tierkreiszifferblatt [5]
Genauere Untersuchungen zeigten, dass der
Stift-Schlitz-Mechanismus auf der Rückseite zur Demonstration der wandernden
elliptischen Mondbahn um die Erde diente. Es wurde also eine elliptische
Bewegung analog verwirklicht. Das astronomische Wissen ist das Eine, doch wie
erfolgte die technologische Fertigung dieses Computers? Wie konnten vor über
2000 Jahren so genau Zahnräder gefertigt werden, noch dazu mit einem genauen
Winkel und aus Bronze? Die Räder lagen auch dicht übereinander. Der Computer
ist also das Ergebnis präzisester Feinmechanik.
Schlusswort
Die Menschheit lebt im dritten Jahrhundert der
Industrialisierung seiner Produktionsprozesse. Das hört sich eigentlich schon
recht altertümlich an. Wohin wird das führen? Wir leben und denken immer
moderner. Wenn wir die gesellschaftlichen Umwälzungen in diesen wenigen
Jahrhunderten betrachten, so sind wir sicher stolz auf unseren Stand in der
Entwicklung der Wissenschaft und Technik. Wir können uns nicht vorstellen, dass
unser Wissen je verloren gehen könnte. Wir haben ein breites Bildungsprogramm
für alle. Weltweit gibt es persönliche Entwicklungschancen der der Menschen.
Was interessieren uns dann Altertumsforschung und Zufallsfunde von Artefakten,
die tausende Jahre alt sind?
Und doch halten sie uns einen Spiegel vor, in den wir
hineinblicken sollten. Vielleicht können wir für unsere Zeit doch etwas lernen.
Vor allem darüber, wie wir mit unserem Wissensdrang in der Gesellschaft umgehen,
wie wir miteinander umgehen. Erkenntnis um jeden Preis, oder aus Zuwendung zum
Menschen und zu seinem menschenwürdigen Dasein? Lassen wir uns also von einem
antiken Fund inspirieren, der wieder einmal beweist, dass es mit den
menschlichen Erkenntnissen auch bergab gehen kann.
Bild 11.
So könnte alles ausgesehen haben, wenn wir uns noch einen Holzrahmen darum
vorstellen [5]
Quellen
[1] Derek
de Solla Price, Gears from the Greeks, Philadelphia :
American Philosophical Society, 1974
[2] Haack Hausatlas, Haack Gotha, 1968
[3] Jo Marchant, Die Entschlüsselung des Himmels, Rowohlt
Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 2011
[4] GuyCramer, Ein
360-Tage-Jahr – Tatsache oder Erfindung? abgerufen am 7.1.2013, http://home.arcor.de/martin.gohla/wissenschaft_artikel/116_360vs365d.html,
[5] Tony Freeth,
http://www.antikythera-mechanism.gr/project/overview Tony Freeth, abgerufen am
8.1.2013
[6]
François Charette, Archaeology:
High tech from Ancient Greece, Nature 444, 551-552 (30 November 2006)
[7] Jo
Marchant, Ancient astronomy: Mechanical inspiration, Nature468, 496-498, 24 November 2010
http://optik-verlag.com
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